An die Mütter von Srebrenica

Es tut mir leid, dass ich mein Versprechen wegen Corona nicht einlösen kann. 
Vor einigen Jahren habe ich euch, Mütter von Srebrenica versprochen, 
dass ich mit meinem Sohn an diesen Ort des Verlustes an Menschlichkeit zurückkommen werde. 

Mit 10 Jahren sollte er wohlbehütet herangewachsen sein, eine seelische reife erlangt haben, 
dass er mit der Schattenseite des Menschen sich auseinandersetzen kann.
 Schattenseiten von Menschen, von Systemen erkennen, 
die bereit sind für Machterhalt ihre eigene Menschlichkeit aufzugeben. 

Srebrenica ist ein Ort, bei dem so
viele Soldaten ihre Menschlichkeit verloren haben. 

So wie bei den zwei Söhnen Adams: 
„... Wahrhaftig, ich schlage dich tot.“ Jener erwiderte: Allah nimmt nur von den Gottesfürchtigen (Opfer) an. Wenn du auch deine Hand nach mir ausstreckst, um mich zu erschlagen, so werde ich doch nicht meine Hand nach dir ausstrecken, um dich zu erschlagen. Ich fürchte Allah, den Herrn der Welten. Ich will, dass du die Last meiner Sünde und deiner Sünde trägst und so unter den Bewohnern des Feuers bist, und dies ist der Lohn der Frevler. Doch er erlag dem Trieb, seinen Bruder zu töten; also erschlug er ihn und wurde einer von den Verlieren. 
(Qur´an 5 : 28 – 31)

Dahin ist der eine Bruder, abgeschnitten von dieser Welt, fern ab um hier im jetzt im Diesseits Erfahrungen zu sammeln, 
um in Vollkommenheit nach dem schöpferischem Prinzip sich entfalten zu können. 
Und der andere?! Irrt umher mit einer doppelten Last an Sünde, ohne zu wissen, 
wohin seine Menschlichkeit unter dieser enormen Last begraben ist. 

Sind wir nicht alle Adams Kinder?! 
Von einer Familie abstammend, 
daher zur Menschheitsfamilie dazugehörig,
 Bluts – und Wesensverwandt. 

Jede/r einzelne von uns wandelt auf der Erde und sucht nach sich selbst, 
nach seinen Ursprung, nach seiner Zugehörigkeit und nach seiner Vollendung in Vollkommenheit. 
Auf dieser Reise werden wir Zeugen von all den Schönheiten, 
die der Schöpfer als Zeichen in uns und um uns herum gelegt hat. 
Der Muslim ist derjenige, der vor dem Schöpfer ein Zeugnis ablegt, 
in dem er Ihn als den alleinigen Herrn anerkennt. 

 لا إله إلا الله 
Nein, es gibt keinen Gott außer Allah. 

Damit bekunden wir, dass wir Zeuge von all seiner Größe, Erhabenheit, 
Barmherzigkeit und Schönheit geworden sind. 
Wir legen ein Zeugnis vor Allah ab. 

Liebe Mütter von Srebrenica, seit gewiss, 
dass mein Sohn und ich sowohl im Diesseits als auch im Jenseits
 vor Menschen und Allah ein Zeugnis ablegen werden, 
für all die Grausamkeit, die euren Liebsten angetan wurden und
 für all euren Leid, der noch kein Ende genommen hat. 
Denn im Geiste sind wir mit euch in Ewigkeit verbunden. 

Mein Zeugnis vor Allah: 
Kilometer weit entfernt von meinen Geschwister in Bosnien hörte ich das Weinen von Kindern und Mütter, 
spürte ich das Leid am eigenen Leib. Denn ich war im Geiste verbunden. 
So wie ich es den Mütter von Srebrenica sagte, wiederhole ich es vor Dir unser aller Schöpfer erneut: 
eure Väter sind meine Väter, 
eure Brüder sind meine Brüder, 
eure Söhne sind meine Söhne.
 An jenem Tag des Verbrechens,
 an jenem Tag des Unmenschlichen,
 an jenem Tag der Grausamkeit 
 haben sie meine Verwandten mitten in Europa umgebracht. 


Hilâl Kurt 
islamische Theologin 
das gesamte HAKK-Team gedenkt an die Opfer und Hinterbliebenen von Srebrenica 
11.07.2020




freier Geist in Zeiten von Corona

Es gibt keine effektivere und größere Pandemie als die Angst, die ich im Laufe meines Lebens beobachtet und gelernt habe. Angst ist ein effektiver Mechanismus, um den menschlichen Geist vorübergehend außer Kraft setzen zu können - Einschaltung des Autopilots in uns. Angst ist ein Mechanismus, der im weitesten, tiefsten Sinne immer mit dem Tod gekoppelt ist. 

Einzelne Individuen, welche längere Zeit Angst haben, richten meist in sich einen „inneren“ Schaden an – meist drückt sich das in „innere Blockaden“ aus oder es entstehen verzerrter Wahrnehmungen und gar Phobien. Irgendwann zerbrechen manche förmlich psychisch an ihrer eigenen Angst. 

Kollektiven, welche durch das vor „etwas“ Angst haben, Schaden sowohl sich selbst auch anderen. Auch können Kollektiven durch das Angstempfinden sich blockieren. Schlimmer wird es, wenn durch ein erhöhtes Angstempfinden, sich das Kollektiv legitimiert fühlt, dass „etwas, welches der Angstauslöser“ ist, zu bekämpfen oder gar zu eliminieren. Die Legitimation des Ausschaltens erfolgt durch das Angsthabende Kollektiv. Im Kern ist es die gemeinsam geteilte Todesangst des Kollektivs, welches plötzlich um seinen „rationalen oder irrationalen“ Überleben durch Bekämpfen und Eleminieren des „Angstauslösers“ garantiert. Ohne zu hinterfragen, ob der „Auslöser“ wirklich „etwas ist, der meine Angst oder die Angst des Kollektivs“ auslöst. Oder ist nicht die eigene Todesangst und das permanente Überleben wollen, am Leben bleiben wollen, das sich zwanghafte Anklammern an das Diesseits nicht der eigentliche Auslöser in einem selbst?! 

Die Gefahr liegt darin, dass ein Angsthabendes Kollektiv sehr gut von „weltlichen Machthabern“ gelenkt werden können, da der kollektive Geist auf Autopilot steht. Maßlosigkeit von Maßnahmen und Fehlverhalten können relativiert werden, da eine Masse diese befolgt. Schuld, Sünde, Fehlverhalten von Massen können manchmal als „Richtig“ wahrgenommen werden, da eine Vielzahl von Menschen sich daran beteiligen. „Wenn alle so handeln, dann wird es schon seine Richtigkeit haben“. 

„Und Iblis bewies wahrlich die Richtigkeit seiner Meinung von ihnen; und sie folgten ihm mit Ausnahme einer Schar von Gläubigen.“ 
(Qur´an 34/20)

Wie viel kollektive Schuld haben wir in der Corona-Zeit auf uns geladen? Nur ein paar Stichpunkte: Verbreitung von Angst, pauschaler Generalverdacht und Stigmatisierung von Menschengruppen als Krankheitsüberträger, verantwortlich sein für das Leiden durch Isolation von alten Menschen, Entfremdung vom Anderen und Entfremdung vom eigenen Körper, das gegenseitige Leiden von Kindern und Großeltern, kollektive Verarmung von Gesellschaftsgruppen und Staaten, Steigerung in allen Altersgruppen von Depression, Onlinespielsucht und häuslicher Gewalt ... Die Folgen von der Politik angeordneten kollektiven Maßnahmen werden ein Ausmaß annehmen, welches unser Vorstellungsvermögen noch nicht begreifen kann. 

Menschen und Gesellschaften, die mit dem Tod im reinen sind, die es verstanden haben und verstehen, dass der Tod bzw. der Sterbeprozess zu uns, zu unserem natürlichen Kreislauf, der menschlichen Entwicklung dazu gehört, dass das Absterben jedes materiellen Wesens im Kreislaufsystem "gerecht" ist. Diese Menschen und Gesellschaften waren und sind "immun" gegen ihre eigene Todesangst. 

„Und gewiss werden Wir euch prüfen durch etwas Angst, Hunger und Minderung an Vermögen, Menschenleben und Früchten. Doch verkünde den Geduldigen eine frohe Botschaft, die, wenn sie ein Unglück trifft, sagen: „Wir gehören Allah und zu Ihm kehren wir zurück.“ Auf diese lässt ihr Herr (Lehrmeister) Segnungen und Barmherzigkeit herab und diese werden rechtgeleitet sein.“ (Qur´an 2 / 155-157)

Das eigene Immunsystem stärken bedeutet, den Geist dahin gehend schulen, dass er seine eigene Todesangst überwindet, indem er erkennt und dem Schöpfer vertraut, dass der Geist, den Tod überlebt. Tod und Sterbeprozess ist ein Teil des Lebens, er gehört zum natürlichen vom Schöpfer erschaffenen Kreislaufsystem dazu. 

Ein reflektierter, gestärkter Geist, sagt „Ja“ zu einer ganzheitlichen Betrachtung des Lebens ohne den Tod dabei auszuschließen. Ein wacher Geist, erkennt den Schöpfer, vertraut Ihm und wird bewusst, dass er in Abhängigkeit/Bindung zum Schöpfer seine größtmögliche geistige Freiheit erhält. Ein freier Geist kämpft nicht, sondern fließt furchtlos im göttlichen Kreislaufsystem. Je freier ein Geist ist, desto mehr entfremdet er sich vom Gedanken des Kämpfens und Eliminierens. Der freie Geist ist „mächtig in sich“, denn er unterliegt nicht der Macht der weltlichen Machthaber. 

Daher unser Umgang in meiner Familie mit Corona: 
„ Liebe Corona, sei Willkommen. Assalamu Alaikum. Komme in Frieden und finde deinen Platz in meinem/unserem Körper, der eine Ruhestätte für dich sein soll. Mein/Unser Körper soll ein Lebensort für dich sein, der dich mit vielen Nachbarviren und -bakterien umgibt. Gib uns die nötige Zeit um einander kennen zu lernen. Komme in Frieden und reihe dich ein, und füge dich in meinem körperlichen Kreislaufsystem. Und wenn die Zeit reif für dich ist, entscheide, ob und wann du weiterziehen möchtest. Komm und gehe in Frieden.“  

In diesem Sinne wünschen wir all jenen, die es wollen, einen wachsamen, freien Geist. 

Hilâl Kurt 
islamische Theologin 
29.04.2020





In Gedenken an die Opfer und Verletzten von Hanau

Unsere Gebete und Gedenken gehen in erster Linie an die Opfer und ihren Familien. Den Verstorbenen wünschen wir, dass der Schöpfer sie mit Seiner Barmherzigkeit empfängt und den Verletzten wünschen wir eine schnelle Genesung, sowohl körperlich als auch seelisch. Den Hinterbliebenen, Familien und Freunden wünschen wir viel Kraft und Geduld, um ihr Leid und Trauer ertragen zu können. 

Heute ist der Tag des Trauerns. 
Der Tag der Erschütterung. 
Der Tag der Anteilnahme. 
Der Tag zum Gedenken der Opfer. 


Morgen ist der Tag der Analyse. 
Der Tag der Bedachtsamkeit. 
Der Tag der Entscheidungen. 

Übermorgen ist der Tag des Aufstehens. 
Der Tag des sich Positionierens. 
Der Tag dem Rechtsradikalismus Stirn zu bieten.


Herzliches Beileid – Deutschland. 


HAKK-Bildungs- und Beratungsteam 
Neckarbischofsheim, den 20.02.2020




Betreff: Erinnerung mit Besorgnis


Im Namen des Ewiglebenden und dem Einzigerhaltendem

Ich erinnere mich: 

Meine Geschichtslehrerin in der Mittelstufe erzählte in der Klasse mit vollem Elan und Begeisterung, dass in Deutschland das Frauenwahlrecht 1918/19 eingeführt wurde. Das sei eine wichtige Errungenschaft für die gesamten deutschen Frauen und auch für uns heute, wir könnten stolz auf das Ereignis sein. Irgendwie konnte ich kein Gefühl des Stolzes entwickeln, ich war 13 Jahre alt. Man könnte meinen, noch nicht politisch reif und bewusst, um zu begreifen, wie immens wichtig ein Frauenwahlrecht ist. In meiner Klasse gehörte ich zu den politisch Interessiertesten, denn ich konnte kaum erwarten, dass ich irgendwann 18 Jahre alt werde und selbst an die Wahlurne gehe. Immer wieder kam eine Zahlenkombination, die mich hinderte ein positives Gefühl für die Einführung des Wahlrechts entwickeln zu können, 1918/19 – 1933/45. 
Zugegeben ich hatte immer eine Affinität zu Zahlen, doch die Nähe beider Zahlen erstarrte mich in meinen Gefühlen. 1918/19 die Einführung des Frauenwahlrechts, eine Errungenschaft für Frauen, ein gesellschaftlicher Wandel für Gleichberechtigung und 1933 die Machtübernahme Hitlers, die Errichtung des ersten Konzentrationslagers in Dachau, ein gesellschaftlicher Wandel für die Vernichtung von Leben, Oppositionellen, Minderheiten, überwiegend jüdischer Menschen. Damals bekam ich ein unwohl befinden, ich wusste, dass da was nicht in Ordnung ist, dass es eine Verbindung gibt, die ich als junges Mädchen nicht verstand. Es war unbegreiflich, dass eine Gesellschaft sich für die Rechte der Frauen stark macht und innerhalb von einigen Jahren, Menschenleben vernichtet. Umso mehr verstehe ich den Zusammenhang heute. 
Von meiner Großmutter weiß ich, dass sie freiwillig auf ihr Wahlrecht verzichtet hätte, wenn sie mit ihrer Wahl die Legitimation für die Vernichtung von Leben dadurch nicht freigegeben hätte. Sie war eine zu tiefst religiöse Person, weise, dass sie verstand, dass der Schutz des Lebens das höchste Wert ist, welches wir auf Erden haben. 



Sehr geehrte Frau von der Leyen und Frau Kamp-Karrenbauer, 

anlässlich Ihrer Ernennung zur EU-Kommissionspräsitentin und Ernennung als Verteidigungsministerin.

Als islamische Theologinnen haben wir uns immer für die Gleichstellung für alle Geschlechter ausgesprochen und uns für die Gleichberechtigung in allen Ämtern eingesetzt. Jedoch sind wir nach Ihren Ernennungen und Amtseintrittsreden in großer Sorge. Nach unserer Auffassung darf das Recht auf Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter in keinster Weise über das „Recht auf Leben“ jedes einzelnen Menschen stehen. Die Geschlechtergerechtigkeit sollte nicht als Tarnung für eine „neue Form der Aufrüstung und Öffnung einer Glorifizierung der Bundeswehr dienen“. Wir bedauern die Zahlreichen Auslandseinsätze der Bundeswehr, die unter dem Deckmantel des Namens Friedens- und Verteidigungsmission stattfinden. Im Namen des Friedens starben und sterben in solchen Einsätzen zahlreiche unschuldige Menschen und wir als deutsche Staatsbürger machen uns mitschuldig mit unserer Bundeswehr. Die militärische Entwicklung der Eu dient derzeit nicht dem Erhalt von Frieden. 

Mit großer Sorge beobachten wir die aktive Werbung der Bundeswehr an Schulen und die Werbestrategien sollen laut Ihrer Rede Frau Kamp-Karrenbauer innerhalb der Zivilgesellschaft erhöht werden. 

Welche Werbestrategien hat bzw. hätte Jesus von Nazareth in solchen Zeiten erhöht? Welchen Interessen ist bzw. wäre Jesus von Nazareth gefolgt, den Weg der Bereicherung, Wirtschaftsinteressen oder den Weg des Friedens durch Verzicht auf militärischen Interventionen? Welche Inhalte und Werbung hat bzw. hätte ein so gebildeter Mensch, ein Rabbiner Jesus von Nazareth für die Schulen adäquat empfunden? Und vor allem zu welcher Mission hätte er junge Menschen aufgerufen? 

Heute haben wir das Jahr 2019, wie im obigen Beispiel 1918/19 – 1933/1945, sehen wir eine Zahlenkombination durch Ihre Ernennungen kommen, die uns gesamtgesellschaftlich alarmieren sollte. 1918 das Jahr der Einführung des Frauenwahlrechts hat Deutschland nicht fortschrittlicher und die Welt nicht friedlicher gemacht, im Gegenteil die Folgen durch den 2. Weltkrieg waren verheerend. 

Nun stehen wir vor einem ähnlichem Ereignis. Die wichtigsten Ämter in Deutschland und in der EU werden von Frauen besetzt. Heute haben wir das Jahr 2019 - ??? 
Die Frage heute für uns ist: werden wir gesamtgesellschaftlich unter Ihrer Führung das höchste Recht/Wert und Gut aushebeln, wie wir es bereits durch die Auslandseinsätze und die Zulassung der Drohnenkriege (siehe Rammstein) getan haben. Welche Richtung werden wir gesamtgesellschaftlich steuern: die Richtung zur Befriedung Deutschlands und Erhaltung des „Recht auf Lebens“ als höchstes Gut und Wert.? Oder die erhöhte Einsetzung der Bundeswehr im In – und Ausland?

Als Frauen verzichten wir freiwillig wie unsere Großmutter auf unser Recht der Gleichberechtigung/Gleichstellung und das Wahlrecht, solange der höchste Wert „das Recht auf Leben“ durch unsere Bundeswehr nicht wiederhergestellt und eine militärische Aufrüstung nicht gestoppt wird. 

Wir wünschen uns eine Rückbesinnung der christlichen Werte im Sinne und Vorbild von Jesus von Nazareth. 

Mit besorgten Grüßen 

Hilâl und Aysel Kurt 
islamische Theologinnen 
Neckarbischofsheim, den 05.08.2019




Id ul Adha - Gedenken an Hiroshima und Nagasaki


Im Namen des Ewiglebenden dem Einzigerhaltendem

Am 11. August 2019 findet der größte religiöse Feiertag der Muslime statt – das Id ul Adha (tr. kurban bayramı), bekannt als das Opferfest. Ein Fest für die Menschheit, eine Erinnerung, Ermahnung und Innehalten der Muslime an die Zeit, in der viele Gesellschaften, Menschen, im Namen einer Gottheit, opferten. Abraham, einer der prophetischen Urväter, lebte in solch einer Gesellschaft, in der Menschenopferung Brauch war. Ein Opfer für die Erhaltung der Nachkommenschaft, um die Götter zufrieden zu stellen. Die islamischen Tradition lehrt, dass kurz bevor Abraham seinen Sohn opfern will, Gott in das Geschehnis eingreift. Abraham soll, anstelle von seinem Sohn Ismael, ein Tier schlachten. Somit wurde die Tradition einen Menschen zu opfern durchbrochen. 
An Id ul Adha, dem Festtag, erinnern wir uns Muslime an "die Aufhebung der Opferung von Menschen durch Menschenhand" und wir erinnern uns an unseren Urvater Abraham, der bekannt ist, Vorführung seiner Gesellschaft, welchen Götzen sie sich selbst errichteten und denen sie dienten. 

Am 6. und 9. August 1945, genau vor 74 Jahren, fand an zwei Tagen eine Massenmenschenopferung in einem Ausmaß statt, welches die Menschheit zuvor nicht kannte. Der Abwurf der ersten Atombomben in Hiroshima und Nagasaki. Die Folgen sind bis heute in unserem kollektiven Unterbewusstsein eingemeiselt. Ein sinnloses Sterben von tausenden und abertausenden von Menschen. Für welchen Preis? Für welche Götzen? - wurden all diese Menschen von Menschenhand geopfert. Im Namen der Wissenschaft und Wissenschaftler, im Namen der Überlegenheit des Militärs, im Namen der Mächtigen - wurden die beiden Atombomben abgeworfen. 

Mittlerweile führt der Mensch Drohnenkriege. Unterschiedliche Staaten verfügen über Atomwaffen und unsere Deutsche, neuernannte Verteidigungsministerin wirbt für eine Aufrüstung der Bundeswehr - im Namen der Sicherheit. 

Die Geschichte von Abraham und Ismael ist immernoch akutell. Damals fühlt sich ein Vater im Namen eines Brauches verpflichtet seinen eigenen Sohn zu opfern. Heute? Wozu bzw. für was fühlen wir uns verpflichtet? - Durch unsere Kriege, dem Einsatz unserer selbsthergestellten Waffen... durch die wir, täglich Menschen: Frauen, Kinder, Männer, Alte, Junge, Schwache, Starke... opfern!

Wir alle gehören zu einer Menschheitsfamilie! Dennoch befürworten wir bewusst oder unbewusst, willentlich oder unwillentlich, wissend oder unwissend, täglich das Opfern von Menschen, einem Mitglied unserer Familie. Der Wortstamm قربان (kurban), bedeutet sich annähern, nahe stehen. Folglich soll, das Opfern und die Opferbereitschaft, einen dem Schöpfer näherbringen. So hat Abrahams Gott, die Menschenopferung aufgehoben, um Gott nahezusein. Und wem kommen wir heute Nahe?

Wir empfinden Trauer und Freude am diesjährigen Id ul Adha (Opferfest). Trauer um die unzähligen Opfer der Vergangenheit und Gegenwart. Freude, über die Erkenntnis, dass der Schöpfer, das Leben als das höchstes Gut sieht, kein derartiges Opfer von uns möchte. Freude über die Erkenntnis, dass wir Muslime uns gegen jegliche Art von Menschenopfer uns erheben können. 

Mit all den Emotionen der Traurigkeit und Freude zugleich wünschen wir allen MuslimInnen ein gesegnetes Id (Fest). 

HAKK - Bildungs- und Beratungsinstitut
Neckarbischofsheim, 08.08.2019




Helden braucht das Land!!!

Der Mensch als Organspender oder Organsprenger

„… wenn jemand einen Menschen das Leben erhält, es so sein soll, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben erhalten….“. (Zitat aus dem Qur´an) - welch eine mächtige Aussage! Wer von uns will nicht der Held oder die Heldin des Tages sein und über sich sagen können, dass er/sie alleine die ganze Menschheit gerettet habe? Kurz vor dem Tod noch eine Heldentat mit in das Jenseits nehmen, um vorm Schöpfer glorreich zu erscheinen. „Schau Herr - Ich habe meine Organe gespendet, meine Organe für Dich geopfert, um Deinen Wohlgefallen zu erlangen.“
Wow… wie in einem Marvel Film oder DC Comics - nur das nun jeder von uns ein Superheld ist und wir uns nicht mit den Protagonisten Wonder Woman oder Superman identifizieren müssen. Ja - wir sind die Helden, jeder einzelne von uns. Wahnsinn! Und das mit geringem, kaum nennenswertem Einsatz. Lediglich kurz vorm Sterben Organe hergeben.

Eigentlich, müssten wir alle dankbar sein, dass Herr Gesundheitsminister uns zu Heldentaten im Sterbeprozess behilft. Wer kann von sich behaupten, dass er in den letzten Stunden, Minuten und Sekunden beim Liegen im Sterben einen Gottesdienst mit solch einer Kraft und Tragweite verrichten kann.
Große Begeisterung - die Vorstellung ist so überwältigend, mit solch einem Einsatz rette ich nicht nur ein Leben wahrscheinlich mehrere im Diesseits. Zugleich rette ich mein Jenseits, da es ein „gottgewollter“ Akt ist. Was wird wohl die Belohnung dessen sein? Vielleicht sind bereits Jungfrauen und Jungmänner bereitgestellt, die auf mich im ewigen Leben warten, und mich umgarnen für meine Wohltat - „fünf vor zwölf“!?

Das Ganze kommt mir irgendwie bekannt vor - waren dass nicht die Heilsversprechen von radikalen Islamisten, die auf Seelenfang waren und den vollen Körpereinsatz von einem Muslim verlangten, um Andere zu retten, damit diese wieder in Frieden weiterleben können? Somit dem eigenen sinnlosen Leben einen Sinn geben und zugleich das eigene Jenseits retten.

Sogenannte, von irgendwem finanzierte, Experten wie Mediziner und Mullahs, definieren im Vorfeld beide, dass das eigene Leben nicht mehr Lebenswert ist und appellieren auf Solidarität für andere Hilfebedürftige. Bei der Organspende soll der Hilfebedürftige aus der Abhängigkeit von der Maschine befreit werden und beim Organsprenger, der „den Körper in die Luft jagt“, sollen Menschen aus der Abhängigkeit eines Systems befreit werden. Sowohl beim Organspender als auch beim Organsprenger, weisen die Merkmale auf einen „Hirntod“ hin. Denn wie soll ich es mir sonst erklären, dass in beiden Fällen der eigene Körper als Materie abgewertet wird. Und mein ganzer Körper und Geist nicht auf die Abwertung reagiert. Was ist schon ein Körper wert? Es ist doch Mittel zum Zweck und der Zweck ist es anderen aus Nächstenliebe zu helfen.
Werbekampagnen laufen auf Hochtouren - Solidarität, Befreiung, Nächstenliebe, dem eigenen Leben und somit seinem Tod einen Sinn geben - ein „gottgewollter“ Akt!?

Oh nein… ich habe es schon wieder getan, Themen miteinander vermischt und Analogien gezogen. Nein… und nochmals nein… das (Schul-) System hat mich doch gelehrt, alles auseinander zu halten, zu trennen, sachlich zu bleiben. Emotionen und Verstand, schön weit auseinander - wie meine Seele und Körper - beides getrennt zu betrachten. Solche ähnliche Argumentationsmuster darf ich nicht aufdecken… ich muss sie unterdrücken. Fragen nach den Beratern des Gesundheitsministers oder wieviel Geld in die Transplantationsstiftungen, Eurotransplant, Forschung, Ärzten und Pharmaindustrie fliesen werden?! Das sind Fragen, die mich - als Laien - nicht zu interessieren haben. Das System sagt mir immer wieder, dass ich ein Laie bin und all die Zusammenhänge nicht sehen, nicht verstehen und falls ich es sehe, nicht interpretieren kann.
Die Fragen bei einem Organsprenger - wer wirklich hinter den Kulissen die Drahtzieher sind, und welche Organisationen, Firmen, Waffenindustrie und Waffenlobby, die Zahlen nach Rüstungsexporten dahinter stecken?! Darf ich auch nicht hinterfragen. Denn ich bin nur ein Laie - nicht vom Fach, kein Experte und mit meinem bloßen Menschenverstand würde ich die Zusammenhänge eh nicht richtig deuten können.

Daher konzentriere ich mich auf das Wesentliche - „in“ ist jetzt Organe zu spenden, zu opfern, sie entnehmen zu lassen - „out“ ist sich in die Luft zu jagen, seine Organe zu sprengen. So einfach, immer schön nach Trendbarometer – auf keinen Fall aus dem gesellschaftlichen Rahmen fallen. Du musst nur dran glauben, dass es danach gut für alle sein wird. Du kommst in den Himmel und dein sinnloses Sterben bekommt einen Sinn. Also bekenne dich bereits hier und jetzt zur Organspende, dann bist du auf der „sicheren“ und „richtigen“ Seite. Die Finanzmärkte sind voll mit dubiosen „religiös motivierten“ Akteuren. Das Ringen um den Körper hört nicht auf.

Auf einer Pressekonferenz sind Frauen aus verschiedenen Parteien, unterschiedlichen Alters, mit fachkompetenter und gut situiertem Erscheinungsbild, die alle das Gleiche von sich geben – wie gleichgeschaltet.
Sie sprechen über eine Statistik, die ich zuvor nie zu Gesicht bekommen habe. Demnach sollen 84 % für die Organspende sein. Daraus entnehmen sie die Solidaritätsbekundung der Befragten mit den todkranken Menschen. Vielleicht finden sie es gut, dass es andere Menschen gibt, die ihre Organe spenden, aber sie selbst wollen das nicht! Nein… ich bin nur ein Laie, vertraue und glaube den fachkompetent erscheinenden Damen. Alle sollen, laut den Damen, in unterschiedlichen Situationen ermutigt werden, sich bewusst für eine Organspende zu entscheiden. Mögliche Orte der Ermutigung - Schulen, das Bürgeramt, das Internet und vor allem der Hausarzt des Vertrauens. Momentmal… wieso bekomme ich den Eindruck einer Missionarsarbeit?! – ich wurde nicht gefragt, ob ich überall mit diesem zutiefst intimen Thema konfrontiert werden möchte. Und was… wenn ich zu der Minderheit, der restlichen 16 %, gehöre? Werde ich als unsolidarisch stigmatisiert?!

Die Diskussion über Organspende hat auch Muslime auf dem Lande erreicht. Vor kurzem bekam ich eine Anfrage, wie ich als islamische Theologin über Organspende denke. Ob wir als Muslime verpflichtet seien eine Bereitwilligkeit an den Tag legen zu müssen, um unsere Organe herzugeben, da es um den Erhalt von Menschenleben gehe?! Und wie bekanntlich wurde der obige Qur´anvers zitiert. Vielen Dank auch! Die politische Arena hat es erneut geschafft, meine Gedanken in Geiselhaft zu nehmen. Schlaflose Nächte sind die Folgen. In meinen Gedanken kreisen sich immer wieder die gleichen Worte… viele zeigen sich solidarisch… wir wollen alle ermutigen, diesen Schritt zu gehen… für Laien ist es sehr schwer nachvollziehbar… es handelt sich um einen toten Menschen, der nur durch die Maschinen beatmet wird… irreversibler Hirntod… eine gute Tat… Religionen sprechen sich für eine Spende aus… islamische Rechtsgutachten befürworten eine Organspende… Widerspruchslösung…

Für all diejenigen, die eine gesellschaftskritische theologische Auseinandersetzung bzgl. des Themas, Organspende im Islam, wollen: muss ich mich zuerst von all den Gedanken entgiften und frei machen. Die letzten Tage im Ramadan, werde ich mich nun diesem Thema widmen. Ende Oktober, wird mein Vortrag zur Organspende fertig sein. Das Thema ist sehr wichtig, denn die Vorstellung, Definition und Umgang mit dem Sterben gibt uns Hinweise, welches Schöpfer- und Menschenbild wir zugrunde legen. Wie wir über das Leben denken. Daraus leitet sich ab, welche gesellschaftlichen Verträge wir als Muslime eingehen wollen.
Bis dahin, wünsche ich keinem von uns einen irreversiblen Hirntod.

Hilâl Kurt        
islamische Theologin
Neckarbischofsheim, 29.05.2019